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Immaterielles Kulturerbe: Bauhüttenwesen im UNESCO-Register Guter Praxisbeispiele

Der zwischenstaatliche Ausschuss der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe hat am 17. Dezember 2020 das Bauhüttenwesen in sein Register Guter Praxisbeispiele aufgenommen. Die Bewerbung wurde von 18 Bauhütten aus 5 Ländern eingereicht.

Der volle Name der Bewerbung lautet „Das Bauhüttenwesen der Großkirchen Europas – Weitergabe, Dokumentation, Bewahrung und Förderung von Handwerkstechniken und -wissen“. 18 Bauhütten aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und der Schweiz haben sich für den Antrag auf Aufnahme des Bauhüttenwesens in das internationale Register Guter Praxisbeispiele zusammengeschlossen. „Der größte Vorteil des Bauhüttenwesens ist eine kontinuierliche Ausführung von Restaurierungsarbeiten durch ein Team, das stark mit dem Objekt verbunden ist und dessen neuralgische Punkte kennt“, erläutert Andreas Hindemann, Münsterbaumeister aus Basel. „Wir freuen uns außerordentlich über den positiven Entscheid und damit über die Anerkennung unserer Arbeit“, fügt er hinzu.

Die Bewerbung wurde gemeinsam eingereicht von der Dombauhütte Aachen, Staatlichen Dombauhütte Bamberg, Stiftung Basler Münsterbauhütte, Zwingerbauhütte Dresden (der einzigen säkularen Bauhütte des Verbundes), Münsterbauhütte Freiburg, Dombauhütte Köln, Dom-bauhütte Mariendom Linz, Kirchenbauhütte Lübeck, Dombauhütte Mainz, Staatlichen Dombau-hütte Passau, Staatlichen Dombauhütte Regensburg, Münsterbauhütte Schwäbisch Gmünd, Dombauhütte St. Maria zur Wiese Soest, Fondation de l’OEuvre Notre-Dame de Strasbourg, Nidaros Domkirkes Restaureringsarbeider (Trondheim), Münsterbauhütte Ulm, Dombauhütte zu St. Stephan Wien sowie der Dombauhütte Xanten.

Kriterien für die UNESCO-Anerkennung als Gutes Praxisbeispiel sind unter anderem eine nach-weisbare Lebendigkeit und eine identitätsstiftende Komponente, die Entwicklung von Erhaltungsmaßnahmen sowie eine modellhafte, gegebenenfalls grenzüberschreitende Kooperation.

 

DER WEG ZUM INTERNATIONALEN EINTRAG

Die Antragstellung begann 2015, als die Ulmer Münsterbauhütte in Deutschland ihre Bewerbung für das Bundesweite Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe einreichte, und die Straßburger Bau-hütte für das französische Inventar des Immateriellen Kulturerbes. Im Juni 2017 erfolgte die Einschreibung der Fondation de l’OEuvre Notre-Dame de Strasbourg auf die nationale franzö-sische Liste der kulturellen Ausdrucksform. Die deutsche Bewerbung – zwischenzeitlich mit Köln und Freiburg an Bord – endete im März 2018 erfolgreich mit einer Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis. Den Anstoß für die internationale Bewerbung bildet die „Erfurter Erklärung“ vom September 2017: Im Rahmen der Jahrestagung der europäischen Vereinigung der Dombau-meister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e. V. wurde der Beschluss gefasst, eine internationale Bewerbung zu unterstützen. „Wir sind gut vernetzt im Dombaumeister-Verein, da galt es, diese Vernetzung sinnvoll zu nutzen, nach außen zu tragen und die Welt auf die Besonderheiten des Bauhüttenwesens aufmerksam zu machen“, berichtet Yvonne Faller, Freiburger Münster-baumeisterin und stellvertretende Vorsitzende von Dombaumeister e. V. Ab November 2017 wurde in diversen Arbeitstreffen die Nominierung vorbereitet, die schließlich am 6. Februar 2019 durch eine 15-köpfige Delegation im Rahmen einer Anhörung in Paris eingereicht wurde. Gut 1,5 Jahre später endet der Prozess erfolgreich mit der Eintragung des Bauhüttenwesens in das UNESCO-Register Guter Praxisbeispiele zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes.

 

DAS BESONDERE AM BAUHÜTTENWESEN

Die Dom- und Münsterbauhütten zeichnet eine multidisziplinäre Zusammenarbeit aus: Eine Bauhütte setzt sich aus der Gesamtheit ihrer Mitarbeiter*innen zusammen, von den Lehrlingen über die Gesell*innen bis zu den Hüttenmeister*innen und Dom-/Münsterbaumeister*innen. Sie geben Wissen, handwerkliche Fertigkeiten und Fähigkeiten verschiedenster Gewerke weiter, bilden Nachwuchs aus, halten Feste und Rituale lebendig, dokumentieren ihre Arbeiten und repräsentieren das Bauhüttenwesen nach außen. Zum Kollegium zählen auch Archivar*innen, Kunsthistoriker*innen, Pressereferent*innen und kaufmännische Mitarbeiter*innen. Im Wesentlichen verstehen sich die Bauhütten als Kompetenzzentren rund um den Stein. „Unser Team ist breit gefächert, da arbeitet die Kunsthistorikerin eng mit dem Steinmetzen, der Restau-ratorin und dem Geologen zusammen, um gemeinsam das Steinwerk zu erkunden und optimale Wege für die Erhaltung zu sichern“, erklärt Eric Fischer, Leiter der Fondation de l’oeuvre Notre-Dame in Strasbourg. Darüber hinaus ist gerade in den letzten Jahrzehnten die Öffentlich-keitsarbeit hinzugekommen, um das breite Publikum sowie Mäzen*innen auf die Anliegen der Erhaltung der jeweiligen Bauwerke aufmerksam zu machen sowie die Identifikation der Bevöl-kerung mit den Bauhütten zu stärken. Auf institutioneller Ebene sind für die Bauhütten jeweils unterschiedliche Organe zuständig: Sie können in kommunaler, kirchlicher oder staatlicher Trägerschaft sein beziehungsweise von einem Verein oder einer Stiftung getragen werden.

 

DAS BAUHÜTTENWESEN IM MITTELALTER UND HEUTE

Die Praxis des Bauhüttenwesens bildet sich im Mittelalter um die Baustellen der Großkirchen in Europa heraus. Bei den Bauhütten handelt es sich damals wie heute um Werkstätten in unmittel-barer Nähe der Kirchen, in denen verschiedene Gewerke eng im Verbund am Bau zusammen-arbeiten und ihr Wissen bewahren, indem sie es von Generation zu Generation weitergeben.
Darüber hinaus sind die Bauhütten seit dem Spätmittelalter untereinander eng verbunden, so dass sich ein überregionales, über Landes- und Reichsgrenzen hinausgehendes Netzwerk gebil-det hat. Neben den ununterbrochen seit dem Mittalter existierenden Bauhütten wie in Straßburg und Freiburg wurden andere Bauhütten insbesondere im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wieder gegründet (z. B. Basel) oder neu ins Leben gerufen (z. B. Dresden). Ausgangspunkt war jeweils der Erhalt, Weiterbau oder Neubau (z. B. Linz) von Großkirchen oder Großbauten.

Auch heute bilden diese Bauhütten ein lebendiges grenzüberschreitendes Kommunikations- und Personennetzwerk und widmen sich der Forschung, Dokumentation und der Weitergabe des Wissens und vor allem dem Erhalt der Kathedralen und bedeutender Großbauten. „Der länder-übergreifende Austausch zwischen den Bauhütten ist bei uns gut geübte Praxis. Wir arbeiten eng zusammen und tauschen uns über unsere Erfahrungen aus. Wir haben keine Berufsgeheimnisse und sehen keine Konkurrenz, sondern lernen voneinander“, so Peter Füssenich, der Kölner Dombaumeister.

www.bauhuetten.org ■ www.ateliersdecathedrales.org ■ www.cathedral-workshops.org 

 

LITERATURTIPP
Europäische Bauhütten. Immaterielles Kulturerbe der Menschheit
Sabine Bengel und Fondation de L'OEuvre Notre-Dame & Dombaumeister e. v. (Hrsg.)
J. S. Klotz Verlagshaus
ISBN: 978-3-948424-73-2
152 Seiten, 139 Abbildungen und Grafiken

Französische und englische Übersetzung des Buchs: geplanter Erscheinungstermin 2021.

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